evimus
festival

Programm 2024


11. Saabrücker Tage für elektroakustische und visuelle Musik
1. November bis 3. November 2024

KuBa – Kulturzentrum am EuroBahnhof e.V.
Quartier Eurobahnhof
Europaallee 25
66113 Saarbrücken
Eintritt frei für alle Veranstaltungen




Konzert I


Freitag, 01. November 2024 19:00 Uhr

 

Konzert
„Herz im Gegenlicht"

Ein visuelles Live-MusikHörSpiel
in 10 Gesänge

von Daniel Osorio mit
Die Cronopien – Kollektiv für Interkulturelle Neue Musik

Dirigent: Christian Schüler



 

Daphné Macary  (Mezzosopran)
Javier Agustín León (Tenor)
Ralf Peter (Erzähler und Regie/Dramaturgie)
Élodie Brochier (Erzählerin)
Meta Poppelreiter (Flöten)
Alvaro Collao (Anden-Flöten)
Daniel Osorio (Anden-Flöten, künstlerische Leitung und konzeptuelle Gestaltung)
Max Harris (Klarinette)
Luis Dubosq (Horn)
Artur Kurghinyan (Geige)
Vicent Máñez Masià (Bratsche)
Zaira Pena (Violoncello)
Ian Vera (Kontrabass)
Oleksii Rybak (Klangregie)
Christian Schüller (Dirigent)
Krischan Kriesten (Licht und Videoprojektionen)
Klaus Harth (Zeichnungen)



Über das Werk

Inspiriert am Roman Herz im Gegenlicht (El corazón a contraluz, 1996) des chilenischen Schriftstellers Patricio Manns erzählt das Live-MusikHörSpiel die fragmentierte Geschichte des Aufeinandertreffens von Julius Popper, einem Ingenieur und Abenteurer, „Eroberer von Feuerland“, und Drimys Winteri, einer jungen selk'nam Schamanin, die gewaltsam von ihrer Familie und Gemeinschaft getrennt wurde. Diese Konfrontation von Weltbildern und Lebensweisen ist gleichzeitig künstlerischer Ausgangspunkt und Material des Werkes: Zum einen die europäische Kulturtradition, in der sich in der Hochphase der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts die fortschreitenden Entfremdung des Menschen durch einen ungezügelten Kapitalismus offenbart und mit der fieberhaften Suche nach neuen Ressourcen einhergeht. Und zum anderen die besondere Lebensweise der selk‘nam mit ihrer Geschichte und Spiritualität, ihrem alten schamanisches Wissen und Bewusstsein, die den europäischen Vorstellungen diametral entgegengesetzt ist. Die Geschichten von Popper und Winteri überschneiden sich und münden im unausweichlichen und tragischen Schicksal der Kolonisierung Feuerlands und der Ausrottung der selk‘nam.

Im Zusammenspiel verschiedener Künste erzählt „Herz im Gegenlicht“ von einer unsichtbaren, unausgesprochenen Liebe. Von den abwesenden Utopien und den Brandspuren des eroberten Patagoniens. Dabei werden in sehr unterschiedlichen Texturen und Klangstrukturen die künstlerischen Perspektiven ausgelotet, die sich aus der Konfrontation klassischer europäischer Instrumenten mit autochthonen Instrumenten aus südamerikanischen Kulturen sowie der Elektronik ergeben. So nährt sich Osorio dieser besonderen – und doch universellen, da sich in der Menschheitsgeschichte immer wiederholenden – Gewalterfahrung aus einer forschenden und fragenden Perspektive an: Das Werk ist Teil einer langjährigen Recherche zur Geschichte und Lebensweise der indigenen Gruppen Patagoniens, basierend auf literarischen und wissenschaftlichen Texten, historischen musikethnologischen sowie eigenen Tonaufnahmen aus Feuerland sowie einer intensiven Auseinandersetzung mit den autochthonen Instrumenten Chiles und Argentiniens.



Gefördert von Musikfonds e. V. mit Projektmitteln
der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien 





Konzert II


Samstag, 02. November 2024 19:00 Uhr

Konzert 

„Aire“

Multiperspektivische Musik für Flöte und Elektronik

mit Karolin Schmitt-Weidmann

Werke von Saariaho, Stroppa, Carvallo und Osorio

Kaija Saariaho (Finnland)
"NoaNoa" (1992)
für Flöte und Elektronik


Marco Stroppa (Italien)
"little i" (1998)
für Flöte und Elektronik


Antonio Carvallo (Chile)
“Rüchin" (2019)
für Flöte und Elektronik


Daniel Osorio (Deutschland/Chile)
"Zikkus-F" (2007)
für Flöte und Elektronik


Karolin Schmitt-Weidmann (Flöte und Konzept)
Daniel Osorio (Klangregie)

Der Atem wird in fernöstlicher und abendländisch-christlicher Tradition als der Sitz der Seele angesehen und wurde in der Geschichte und in der Kunst als Metapher für das Bewusstsein, für die Vernunft, für das Leben an sich und Tod für die existenzielle Weite zwischen Leben und Tod verwendet. Wegen seiner essenziellen Körperlichkeit stellt Atem ebenfalls ein starkes musikalisches Ausdruckmittel bereit und bietet die Möglichkeit, Grenzsituationen zwischen Leben und Tod in zeitgenössischer Kunstmusik herzustellen. Die Grundfunktion des menschlichen Körpers, der Atem, wird in diesem Programm thematisiert, was bereits im Titel angedeutet wird: das Wort „Aire“ („Luft“ aus dem Spanisch).

Es sind vier zeitgenössische Stücke für Flöte, ein Instrument, bei dem nicht nur der Ausdruck, sondern auch die grundlegende Tonerzeugung durch den Atem und Luft erfolgt. Vier Komponist:innen, die ihrer Kunst ihre individuelle Auseinandersetzung mit der heutigen Gesellschaft ausdrücken. Vier verschiedene Herkunftsländer, die nicht nur die unterschiedlichen gesellschaftlichen Blickpunkte, sondern auch die individuellen musikalischen Kompositionsweisen prägen. Aber nicht nur der Atem, ein hohes Reflexionsniveau und die Wahl des Instrumentes verbinden diese Auswahl von zeitgenössischen Werken, sondern auch ihr gesellschaftliches Ziel: Die Komplexität und Widersprüchlichkeit unserer Gesellschaft beinhaltet die Erkenntnis, dass es nicht darum geht, eine einzig richtige Wahrheit oder eine einzig richtige Wahrnehmung zu finden. Es geht vielmehr um die Auseinandersetzung damit, wie wir die zahlreichen Wahrheiten und Wahrnehmungen im zukünftigen Zusammenleben und Überleben praktisch nutzen und anwenden lernen.



Konzert III


Sonntag, 03. November 2024, 19:00 Uhr

 

Konzert
„Acústica“
(Ausgewählte Werke für akusmatische Musik)


Antonio Carvallo (Chile)
“Viz” (2018)
Akusmatisches Stück  4Ch

Maria Teresa Treccozzi
“Farblos”
Audiovisual

Fritz Spangemacher
„brün“ (1978)
elektronische Musik 4 Ch

Andrés Ferrari
„Estudio Geométrico“ (2023)
Audiovisual

Myriam Boucher (Kanada)
„Vertiges“ (2017)
Videomusik

Daniel Osorio (Deutschland/Chile)
„Avzajîr“ (2016)
Akusmatisches Stück Mit Video (4 Ch)



“Viz” (2018)
Akusmatisches Stück  4Ch

Viz is a four channels acousmatic composition constructed from vocal sounds modified through analysis and re-synthesis, filters and AM synthesis. The syntactic structures aim to constitute a unitary form that is periodically fragmented by pulsating sounds that transform their timbres and internal articulation.


“Farblos”
Audiovisual

Mein Stück „Farblos“ ist für Video und Elektronik, es widmet sich der ökologischen Krise, um eine ökologische Perspektive zu entwickeln: Respekt vor der Natur.
Es handelt sich um eine Arbeit zur Sensibilisierung für das Thema Plastikmüll. Eine Videoinstallation zeigt die Konflikte, die bei der Herstellung und Verwendung von Kunststoff entstehen. Ein Planet voller Plastik hat keine Farbe (Farblos). Welche Farbe hätte die Welt ohne Plastik und Müll?

Die Komposition verwendet raffinierte Klänge, die von Plastikgegenständen erzeugt werden: Flaschen, Tassen, Tüte... Sie werden am Computer aufgezeichnet und manipuliert. Atemzüge, Seufzer und Klangfarben wechseln im Laufe der Zeit zwischen Klangbalance und Instabilität.


„brün“ (1978)
elektronische Musik 4 Ch

Das kurze Stück entstand im Elektronischen Studio der Technischen Universität Berlin im Rahmen eines Workshops, den der amerikanische Komponist Herbert Brün leitete, dessen Idee von dem Prinzip des "Non Sequitur" (Es folgt nicht) mich damals faszinierte. Ich hatte mit Herbert Brün zuvor über das grobe Raster der Komposition gesprochen. Das Stück geht handwerklich auf die frühen Jahre der elektronischen Musik zurück, was dem Stück auch anzuhören ist. Es nutzt u.a. Sinustöne, Rauchgeneratoren und verschiedene Arten von Filtern. Wie in den fünfziger Jahren wurden die Tonbandstücke gemessen, mit der Schere geschnitten und aneinander geklebt, überspielt und wieder geklebt. Es geht um Proportionen, Verhältnisse, antiphonale Strukturen, aber auch um kontrapunktische Verfahren. Der orgelähnliche Ton des Anfangs bezieht sich im weitesten Sinn auf meine Organistentätigkeit.


„Estudio Geométrico“ (2023)
Audiovisual

Studie über Formen, Prozesse, Reaktionen und Datentransfer zwischen Puredata (Audio und Steuerung) und Blender (3D CGI Bild und Steuerung). Diese erste Studie konzentriert sich auf den Rhythmus der Cueca, der traditionellen chilenischen Volksmusik.


„Vertiges“ (2017)
Videomusik

Ephemeral place filled with oppositions and limit states. An unruly time that crumbles, deflates and falls into the void. Subjects that oscillate between life and stilness, on the edge of an aspiring abyss.


„Avzajîr“ (2016)
Akusmatisches Stück Mit Video (4 Ch)

Das Werk Avzajir wurde für die im Exil lebende kurdische Gemeinschaft in Saarbrücken (Deutschland) komponiert und uraufgeführt, anlässlich der Feierlichkeiten zu dem Sieg für die Verteidigung von Rojava (Nordsyrien) durch die Kämpferinnen der YPJ, der Frauenverteidigungseinheiten, nach monatelangen Massakern und Tötungen durch den Islamischen Staat. Zwei Texte stehen im Mittelpunkt der Komposition: ein Text der jungen Afghanin Laida Omid, die sich aus Protest gegen die Taliban-Tyrannei selbst verbrannte, und das letzte Interview und Lied der kurdischen Sängerin und Guerillakämpferin Viyan Peyam, bevor sie im Kampf fiel.